Heilsame Geschichten
Was für mich nachhaltig war
Ich beobachtete neugierig und kreativ die Prozesse während einer Behandlung. Daraus entstanden wunderschöne, heilsame Geschichten.
Ich beobachtete neugierig und kreativ die Prozesse während einer Behandlung. Daraus entstanden wunderschöne, heilsame Geschichten.
In der Begegnung anerkenne, achte und wertschätze ich den anderen.
Im jeweiligen Moment begegne ich der Situation oder dem Menschen mit offenen Herzen.
Ich wende mich dem anderen vollständig zu. Ich nehme ihn/sie wahr, so wie er/sie ist.
Während meiner Arbeit mit der Craniosacralen Therapie war ich auf einer Forschungsreise. Ich beobachtete neugierig und kreativ die Prozesse während einer Behandlung. Da ergab es sich, dass ich Menschen einlud, ihr »Problem« in einer heilsamen Geschichte erzählen zu lassen. Sie waren einverstanden. Dies entstand aus einer Not heraus.
Aus einer Not heraus, weil die Menschen mich nach dem Problem befragten und ich sie nicht mit der klaren, konkreten Antwort konfrontieren wollte. So ließ ich eine Geschichte entstehen. Es war unglaublich, in welcher Präzision aus dem inneren Wesen des Menschen heraus, sich eine Geschichte kreierte. Die Voraussetzung eines solchen Prozesses erfordert die vollkommene Präsenz des Therapeuten und seine völlige Hingabe.
Während meiner Arbeit mit der Craniosacralen Therapie war ich auf einer Forschungsreise. Ich beobachtete neugierig und kreativ die Prozesse während einer Behandlung. Da ergab es sich, dass ich Menschen einlud, ihr »Problem« in einer heilsamen Geschichte erzählen zu lassen. Sie waren einverstanden. Dies entstand aus einer Not heraus, weil die Menschen mich nach dem Problem befragten und ich sie nicht mit der klaren, konkreten Antwort konfrontieren wollte. So ließ ich eine Geschichte entstehen. Es war unglaublich, in welcher Präzision aus dem inneren Wesen des Menschen heraus, sich eine Geschichte kreierte. Die Voraussetzung eines solchen Prozesses erfordert die vollkommene Präsenz des Therapeuten und seine völlige Hingabe. Es entstanden: »Marias Traum«, von einer stets überforderten Frau, die chronisch, blockierende Wirbelgelenke hatte und therapeutische Maßnahmen nur kurzfristig halfen. »Eine besondere Schnecke«, von einem Mann, der chronische Schmerzen am unteren Rücken/ Kreuzbein hatte, einen Tumor am Darm, seine Eltern sich trennten, als er 13 Jahre alt war. »Eine wundersame Schneeflocke«, von einer jungen Frau, die chronisch blockierende Schmerzen hatte, Bewegungseinschränkungen und immer wieder in Unfälle verwickelt war. Als sie sich neu verliebte, geschah es wieder: Ein Unfall, Schmerzen, Blockaden bis zur Bewegungsunfähigkeit. Im Laufe der Behandlung erschien und entfaltete sich die Geschichte, als eine Erinnerung an eine Abtreibung, als sie noch in die Schule besuchte. Ihre Eltern dazu rieten, denn sonst wäre ihre berufliche Laufbahn nicht möglich gewesen.
Tim lebt mit seinen Eltern in einem kleinen Haus am Rande der Stadt. Um dort hinzugelangen, brauchst du einen Kompass, denn es steht im Verborgenen, zwischen Hecken und Büschen. Wenn du Tim besuchen willst und es entdecken willst, bist du gezwungen, um mehrere Ecken herum abzubiegen, um in den Wiesenweg zu kommen. Am Ende des Wiesenweges beginnt der Wiesenpfad. Und genau da, wo der Wiesenweg endet, auf der rechten Straßenseite, steht das schönste und urgemütlichste Häuschen in der ganzen Gegend. Seine Wände sind weiß wie Schnee. Es hat Fensterläden, rundherum und so blau wie der Himmel im Sommer. Ein kleiner Weg führt zum Haus. Es ist auch kein gewöhnlicher Weg. Zuerst geht’s durch ein kleines, grünes Tor. Dann kommst du auf einen gepflasterten Weg, bestückt von vielen unförmigen, kantig gehauenen, graubraunen Steinen. Sie zeigen dir geradewegs den Weg zur Haustüre. An seinem Ende muss man drei Treppenstufen steigen, um an der himmelblauen Haustüre anzukommen. Die Stufen nutzt Tim, um das Weitspringen zu üben. Er schafft es schon bis zur zweiten Steinreihe zu springen. Er ist ganz stolz auf seine Leistung, selbst wenn ihm manchmal sein Fuß ein bisschen schmerzt. Er kann genau sehen, wohin er springt, denn die graubraunen Pflastersteine liegen akkurat geordnet auf dem Weg. Tims Großvater hat die vielen Steine in jungen Jahren mit seinen eigenen Händen dort hingelegt. Das ist eine schwere Arbeit, sagt seine Mutter. Damals musste die Großmutter dem Großvater jeden Abend, nach getaner Arbeit, den Rücken mit Johanniskrautöl kräftig einmassieren. Und noch zusätzlich mit einer Wärmflasche wärmen. Ansonsten wäre der Weg heute noch eine Baustelle. Großvater war ein strebsamer Mann. Er hat alles, was er begonnen hat, auch immer zu Ende gebracht, beteuert seine Mutter. Dies weiß sie aus Erzählungen. Überdies war er überzeugt, alles allein zu können. Selbst den Apfelbaum, der in ihrem kleinen Garten thront, hat Opa ganz allein gepflanzt. Mit Hacke und Spaten. Es wachsen dort die allerbesten, süßesten und knackigsten Äpfel der gesamten Umgebung. Darüber sei er besonders glücklich gewesen, sagt sie mit einer anerkennenden Stimme. Er wusste, dass er Großmutter damit eine große Freude bereiten würde, denn sie liebte Äpfel in allen Variationen. Angefangen vom frischen Hineinbeißen, über den Apfelkuchen, bis zum Apfelmus. Und darauf wäre er ganz stolz gewesen.
Leider hat Tim seinen Großvater nie kennengelernt. Bevor Tim auf die Welt gekommen ist, sei er zu den Sternen gegangen, meint Tims Vater. Und Großmutter? Sie habe sich ohne Großvater so einsam und verlassen gefühlt. So geschah es, dass sie kränklich wurde und so schwach, dass sie nicht mehr stehen und nicht mehr gehen konnte. Sie musste sie eine Weile das Bett hüten. Papa hat gesagt, sie sei wahrscheinlich mit unsichtbaren Flügeln zu Großvater gegangen. Tim findet es sehr schade, dass er seinen tollen Großvater nie kennenlernen durfte. Zum Ausgleich hat ihm Papa viele wunderbare Geschichten über ihn erzählt. Immer, wenn Papa von Großvater erzählt, sitzt er auf Papas Schoß und hält Großvaters Bild andächtig in seinen Händen. Dann träumt er vor sich hin und fühlt sich ganz nahe bei Großvater. Tim würde am liebsten jeden Tag von morgens bis abends Geschichten hören, denn sein Papa ist der allerbeste Geschichtenerzähler auf der ganzen Welt, sagt Tim. Aber leider ist er selten zuhause. Mama sagt, er habe immer so unglaublich viel zu tun und deswegen so wenig Zeit. Aber das erzähle ich dir später. Jetzt möchte ich dich erst einmal in den Garten mitnehmen.
Hinter dem Haus, mitten in ihrem kleinen Garten, wo Allerlei und Vielfältiges wächst, steht dieser besagte, einzigartige Apfelbaum. Durch die vielen Jahre ist er ein bisschen älter geworden und knorrig dazu. Papa hat Krücken aus Holz gezimmert, die ihn unterstützten, sonst hätte er so manchen Herbst die rotbackigen Äpfel nicht mehr tragen können. Er wäre wahrscheinlich unter der Last der unzähligen Äpfel zusammengebrochen, sagt Papa. Tim und Papa sind sich einig, dass diese Äpfel die besten auf der ganzen Welt sind. Ihr Aroma ist einfach himmlisch und was außerdem genial ist: Man kann den Apfel mit „Haut und Haaren“ essen. Quatsch, denkst du. Ja, du hast Recht. Ich meine natürlich, von der Schale bis zum Kern. Das Einzige, was übrigbleibt, ist der holzige Stiel. Den essen die Würmer. Durch das hohe Alter hat der Stamm des Apfelbaumes Rillen bekommen. Diese durchziehen den knorrigen, holzigen Stamm von unten bis hinauf zu den Ästen. Sie sehen aus wie tiefe Straßenzüge. Auf ihnen begegnen sich dicke, braune Käfer mit grünschillernden Flügeln und unermüdliche Ameisen. Die warme Frühlingssonne hat sie herausgelockt. Sie krabbeln ohne Verschnaufpause hoch und wieder herunter, denn sie haben immer viel zu tun. Genauso wie sein Vater, denkt Tim, während er neugierig das geschäftige Treiben beobachtet. Da ist wirklich Hochbetrieb auf dem alten Stammbaum. Fasziniert fragte er sich: Warum haben sie es denn so eilig? Wofür hasten sie ohne Rast und ohne Ruh? Immer denselben Weg? Hinauf auf den Stamm und wieder hinunter? Dann verfolgt er sie mit seinem erforschenden Blick und sieht es! Ach ja, die Ameisen wohnen unter dem Baum! Dort wo ein kleiner brauner, krümeliger Berg ist! Sie gehen ohne Pause ein und aus; in ihrem unterirdischen Ameisenhaus. Sie haben viel zu tun, hat Papa gesagt. Ihre Königin hält dort unten einen großen Hofstaat. Für ihr Wohlergehen sind die Ameisen verantwortlich. Deshalb sind sie ständig unterwegs, hoch hinauf, zu den grünen, saftigen Blättern, den wunderbar weißen Blüten, wo Läusehonig und andere Leckerbissen auf sie warten, dann wieder hinunter, durch das grüne Gras und weg sind sie, im Ameisenhaus.So geht es den ganzen, lieben, langen Tag. Um den alten Apfelbaum herum breitet sich ein bunter Teppich aus, geschmückt mit vielen bunten, kleinen und großen Blumen.
Im Frühling strecken als erstes die leuchtend weißen Gänseblümchen ihre Blütenköpfchen durch das grünende Gras. Ihnen folgen die wohlriechenden, blauvioletten Hornveilchen. Ja, dann wollen die gelben Sonnenwirbel, Löwenzahn oder Pusteblumen genannt, in dieser bunten Gesellschaft nicht fehlen. Sogar zwischen den Steinen bohren sie sich zielstrebig durch alles hindurch, was ihnen im Weg steht. Zur Krönung thronen über ihren grünen Blätterbüscheln, auf ihren starken Stängeln, sonnengelbe Blütenköpfchen. Aus diesen Blütenköpfchen kocht Mama einen leckeren Löwenhonig. Das Rezept hat sie von Großmutter. Butterbrot mit Löwenhonig, das verleiht dem schwächsten König Löwenkraft! Hast du das gewusst? Dann probiere es einfach aus! Entlang der Nachbarshecken wuchern Brennnesseln, in Hülle und Fülle. Aus den Blättern kann man einen leckeren Brennesselkuchen backen. Etwas später, im Juni gesellt sich majestätisch die Knoblauchrauke dazu. Der Geißfuß sprießt mit seinen unterirdischen Wurzeln unaufhaltsam unter den Hecken hervor, um sich in den Garten auszudehnen. Dem kann nur mit der Gartenharke Einhalt geboten werden. Wenn der Sommer sich ankündigt, stehen leuchtend gelbe Sonnenblumen stolz und mannshoch, in Reih und Glied nebeneinander am Gartenzaun. Sie wiegen sich sanft im Wind. An den leckeren Sonnenblumenkernen erfreuen sich zu gegebener Zeit, im Winter die Vögel. Unmittelbar daneben offenbaren rote, rosafarbene und gelbe Rosenblüten ihre vollkommene Anmut. Jeder Gast hält inne, um staunend diese Schönheit zu betrachten. Andere Gäste wiederum genießen den nährenden Nektar, um reich beschenkt weiter zu fliegen. Und gibt es Gäste, die lassen sich einfach ruhend nieder. Aber in einem so reichhaltigen Garten wachsen natürlich auch andere blumige Gesellen. Zum Beispiel: Stechenden Disteln, wo Vorsicht geboten ist. Da musst du einen großen Bogen machen, sonst plagt dich der Schmerz noch Tage danach. Mitten im ganzen Allerlei wachsen rote Zwiebeln, kleine orangefarbene Möhren, Kartoffeln, hochrankende grüne Bohnen und Pflücksalat. Salbei zum Gurgeln, fürs Halsweh im Winter; Majoran und Rosmarin für die Bratkartoffeln; Schnittlauch und Petersilie für die Nudelsuppe.
Ja, beinahe hätte ich es vergessen, das unvergängliche grüne und moosbedeckte Gras, was überall und zwischendrin grünt und hin und wieder durchaus lästig ist. Zum Barfußlaufen ist es jedoch himmlisch!
Manchmal kommt der eine oder andere zweibeinige Besucher zum Verweilen vorbei. Erstens, weil eine kleine, längst ergraute Gartenbank vom Großvater an der Hauswand angelehnt steht. Sie ist vom Regen, Sturm und Schnee und der heißen Sommersonne zwar in die Jahre gekommen, aber keiner will sie mehr missen. Zweitens weil sie so urgemütlich ist. Vor allem, wenn die Sonne sie wärmt und die Blumenkissen, die darauf gebettet sind. Diese laden geradewegs zum vergnüglichen Miteinanderkuscheln ein. Von dort aus hast du den besten Ausblick auf den Garten. Du kannst stundenlang beobachtend studieren, wie sich bunte Schmetterlinge auf dem violetten Sommerflieder tummeln; unermüdliche fleißige Bienen vollgeladen mit gelben Säckchen an den Beinchen, summend durch den blühenden Garten fliegen. Wie kleine Hubschrauber, die dicken Hummeln, torkelnd von einer herrlichen Blume zur anderen brummen. Aufmüpfige, nervige Fliegen sich tappend und schlürfend über das Butterbrot auf dem Tisch hermachen. Kleine Vögel mit gelben und roten Krawatten in den Hecken zwitschernd ihre fröhlichen Lieder singen. Freche Spatzen im Sturzflug auf den steinigen Weg herabsegeln, aufgeregt, hastig nickend, den letzten Krümel weg picken.
Wenn man Glück hat, kann man das Eichhörnchen aus der Nachbarschaft begrüßen. Es wohnt in der dunkelgrünen, hohen Riesentanne hinter dem Zaun, in Nachbars Garten. Wenn es hungrig ist, aus seiner Wohnung hervorkommt, den Stamm hinunterhuscht, eilends durch den Garten springt, muss Tim ganz ruhig sitzen und mucksmäuschenstille sein. Dann darf er sich nicht rühren, sonst hätte es auf der Ferse umgedreht und wäre postwendend wieder verschwunden. Stillsitzen ist überhaupt nicht Tims Lieblingsbeschäftigung. Im Gegenteil, er ist stets sprungbereit, in der Hoffnung, das Eichhörnchen als erster zu begrüßen. Seine Mama hält ihn zwar mit plausiblen Erklärungen von seinem Vorhaben, das Eichhörnchen streicheln zu wollen ab, aber Tims will es einfach. „Es ist doch so schön, Mama. Ich will es doch nur streicheln“, kontert Tim jedes Mal. Bevor Tim jedoch seine Bitte zu Ende sprechen kann, ist es schon wieder weg. Da fasst Tim einen Entschluss: Wenn es wieder in kleinen Sprüngen, hopsend durch den Garten flitzt, lasse ich mich nicht mehr aufhalten. Dann will ich es fangen, auf den Arm nehmen und liebkosen. Er versteckt sich hinter dem Zaun und wartet. Mit wachsamen Adleraugen beobachtet er das Geschehen. Da kommt es wieder. Tim springt blitzschnell hinter dem Zaun hervor und rennt dem Eichhörnchen rufend hinterher. Er hätte es so gern gestreichelt, aber es ist fluchs auf den Baum geklettert und ward nicht mehr gesehen. Tim ist enttäuscht und traurig. Seine Mama tröstet ihn damit, dass sie ihm verspricht, Nüsse zu sammeln. Diese darf er dann auf die Gartenbank legen. Während dieser Zeit lauert er hinter dem Küchenfenster stehend, dem Eichhörnchen auf. Nach einer Weile kommt es zielgerichtet zur Gartenbank. Er schaut fasziniert dem Eichhörnchen zu, wie es die Nüsse mit den Vorderfüßen, in beide Hände nimmt und sich eilends davon macht, um bald wieder aufzutauchen. Er ist versöhnt mit dem Eichhörnchen, denn das Zuschauen hat ihm richtiger Spaß gemacht.
Willst Du wissen, was Tim sonst noch liebte? Seiner Mutter beim Backen zu helfen. Weißt du warum? Er hatte einen neugierigen Zeigefinger und den nutzte er, wenn der Teiggenuss buchstäblich „Auf der Zunge zergeht“.
Aber was liebte er außerdem noch? Erinnerst du dich? Ja, Papa beim Geschichtenerzählen stundenlang zu lauschen. Und weiter? Mit seinem Papa stundenlange, abenteuerliche Spaziergänge über Stock und Stein und durch Wald und Wiesen zu machen. Es macht Tim und auch seinem Vater besonders viel Spaß, sich zu verstecken, um sich wieder zu finden. Über wackelige Baumstämme zu balancieren, um Ausschau zu halten und ohne Schramme wieder sicher auf der Erde zu landen. Das ist das Kühnste. Aber über gurgelnde Bäche zu springen und unbeschadet im grünen Gras zu landen, ist absolut wagemutig. Oder von einem Stein zum anderen Stein, zielstrebig durch das kalte Bachwasser zu steigen und trockenen Fußes am Ufer anzukommen; Durch dunkle Wälder ohne Angst zu streifen; Über grasgrüne samtweiche Moospolster schleichend das Waldleben zu studieren; Außergewöhnliche Beobachtungen mit Fuchs und Hase zu machen; Aus den liegengebliebenen, vom Sturm und Schnee zerbrochenen Ästen eine Zelthütte bauen, um im Verborgenen die Vorräte aus dem kleinen Rucksack zu verspeisen.
Manchmal dürfen sogar wohlausgesuchte Pilze auf dem Nachhauseweg im Rucksack mitreisen. Diese landen dann zuhause in der Pfanne und werden genüsslich verspeist. Sie lesen den Neigungswinkel der Sonnenstrahlen, um den Stand der Sonne genau zu beobachten, damit sie wissen, wann es Zeit ist den Heimweg anzutreten. Mit Papa sind es keine gewöhnlichen Spaziergänge. Nein! Das Besondere ist, sein Vater kann so nebenbei, wunderbar herrlich, spannende Geschichten erzählen. Er ist überall unterwegs, viel zu selten zuhause und seine Erlebnisse sind unendlich reichhaltig. Er reist in der Weltgeschichte herum, sagt seine Mama scherzhaft tiefgründig, wenn Tim die Zeit des Wartens wieder einmal, wie eine Ewigkeit erscheint. Sein Vater reist aber nicht zum Vergnügen in der Weltgeschichte herum. Er hat eine ganz besonders wichtige Arbeit zu tun: Er besucht fremde Menschen und muss Projekte betreuen. Da gibt es Zeiten, an denen sein Vater wirklich eine Ewigkeit weg ist. Manchmal ein paar Wochen oder sogar Monate. Am anderen Ende der Welt, wo die Menschen barfuß laufen, weil sie so arm sind und keine Schuhe haben. Da ist es natürlich klar, dass sein Papa nicht jederzeit einfach mal kurz vorbeikommen kann. Du kannst dir denken, wie sehnsüchtig Tim die Stunden herbeisehnt, wenn Papa nach langer Zeit, ja fast einer Ewigkeit, endlich wieder einmal nach Hause kommt.
Und heute ist es soweit! Seine Mama hat es ihm hundertprozentig versichert. Heute kommt sein Papa für ein paar Tage nach Hause und Tim weiß, dass seingrößter Wunsch in Erfüllung geht. Er ist so aufgeregt, dass er die ganze Nacht nicht schlafen kann, sich von einer Seite auf die andere rollt und es kaum erwarten kann, bis endlich der erste Sonnenstrahl seine Wangen küsst. Als er aufwacht und zum Fenster hinüberschaut, ist es draußen noch fast dunkel. Aber es hält ihn nichts mehr in seinem Bett zurück. Schnell springt er aus dem Bett und spurtet zu seiner Mutter, die noch im Schlummerland träumt. Er öffnet die Tür einen Spalt breit, bleibt stehen und ruft: „Mama, aufstehen“ „Papa kommt gleich!“
„Es ist noch viel zu früh, Tim“ und „Papa kommt erst später“, sagt seine Mama verschlafen. Tim will aber, dass sein Papa jetzt kommt. Seine Mutter sieht auf die Uhr, die auf dem Nachtkästchen steht. Sie sagt: „Tim, es ist noch mitten in der Nacht.“ Tim antwortet: „Ich glaub Dir nicht! Papa ist sicher schon unterwegs. Mama Du musst jetzt aufzustehen“. Einigen Diskussionen folgen. Mama hat eine Idee: Tim darf bis Papa kommt, in Papas Bett liegen. Tim steht aber entschlossen daneben. Selbst ihr Lieblingsangebot: „Komm wir kuscheln ein bisschen zusammen“, scheint ihn nicht zu beeindrucken. Sie streckt einladend ihre beiden Arme aus. Tim sieht sie zögernd an. Er überlegt einen Augenblick und noch einen Augenblick. Dann sagt er. „Ich will jetzt sofort an der Tür auf Papa warten.“ Er ist bereits im Begriff zur Treppe zu gehen, als ihn seine Mama mit fester Stimme überzeugt, dass es keinen Sinn habe, jetzt schon an der Tür zu warten. Es dauert eine ganze Weile bis Tim doch einverstanden ist, zu Mamas ins Bett zu hüpfen. „Du hast ja eiskalte Füße, vom Langen Herumstehen“, sagt seine Mama. „Komm ich wärme dich“. Gerne lässt er sich von Mama durchwärmen. Geborgen liegt er eine ganze Weile in Mamas Armen und genießt das gemeinsame Kuscheln.
Plötzlich erhebt er sich mit den Worten: „Jetzt stehen wir auf Mama“!
Tim sitzt senkrecht im Bett. Nichts hält ihn mehr im Bett! Schwuppdiwupp steht er neben Mamas Bett. Er schiebt und zieht an seiner Mama. Er schafft es, sie bis an den Rand des Bettes zu schieben. Lachend kullert sie aus dem Bett, geradewegs auf Tims Füße. Er verliert den Halt und purzelt über Mama. Ist das ein Zeichen für den allmorgendlichen Frühsport? Bewegungsfreude pur! Beide kugeln und purzeln nebeneinander und übereinander und lachen vor Vergnügen. Dann erhebt sich Tim. „Mama, komm. Wir müssen uns anziehen. Papa kommt gleich.“ Er ist der Auffassung, dass an diesem wichtigen Tag keine Zeit zum Toben ist. Schließlich muss er sich auf Papas Ankunft vorbereiten. Und Mama auch. Den restlichen Morgen verbringt er damit, seine Mama Löcher in den Bauch zu fragen, abwechselnd am Fenster zu stehen und zur Haustüre zu rennen, um Ausschau zu halten, ob seine Sehnsucht endlich erfüllt werde. Essen kann er fast nichts, denn dafür ist er viel zu aufgeregt. Obwohl seine Mutter Tims Lieblingsessen gekocht hat, Nudeln mit Tomaten und Kräutern aus dem Garten, hat er keinen Hunger.
Plötzlich hält er inne. Hat er nicht gerade etwas Verdächtiges gehört? Ist da nicht ein wohlbekanntes Geräusch an der Haustüre?
Gerade als seine Mutter ihn zum x-ten Mal überreden will, seine Lieblingsnudeln zu essen, horcht Tim auf. Er spitzt die Ohren und ruft: „Papa?“ Er lauscht. „Papa!“ Hat es sich getäuscht? Aber, da war wieder dieses Geräusch!
Ja, Papa war da! Er springt auf, rennt zur Treppe. Beinahe wäre er die Treppe hinuntergefallen, hätte ihn sein Papa nicht aufgefangen.Tim ist außer sich vor Freude. Er hat tausend Fragen. Er lässt seinen Papa nicht mehr los. Und er kann es kaum erwarten: Mit Papa rauszugehen, eine abenteuerliche Reise zu machen und der brandneuesten, spannendsten Geschichte zu lauschen.
Endlich ist es soweit, denkt Tim. Er ist außer sich vor Glück und Freude. Aber, erst nach dem Essen sollte es losgehen! Noch länger warten? „Papa, ich will nicht warten!“ Mit diesen Worten unterbricht er das Gespräch seiner Eltern. Papa aber, gibt Tim zu verstehen, dass er auf Mamas weltbeste Kochkünste nicht verzichten will. Er will das gemeinsame Essen am Familientisch, mit Mama und Tim genießen, denn er hat es so lange entbehren müssen. Nach dem Essen ist es endlich soweit!
Hand in Hand gehen sie los. Die Sonne meint es gut mit ihnen und strahlt in ihrer hellen, wunderbaren, wohligen Wärme durch ihre blauen Pullover. Der Himmel ist so himmelblau wie noch nie zuvor. Die Vögel trällern und zwitschern ihre Sommerlieder aus voller Kehle. Ein kühler Windhauch streift durch ihre braunen Haare.
Die Vatergeschichte fängt an, Wirklichkeit zu werden. Sie sind glücklich! Die ganze Welt gehört vollkommen ihnen allein. So sieht man die beiden Hand in Hand, versunken in ihrer Wanderschaft-Welt.
Vertieft in Papas Erzählung, gleiten Tims Augen über das Gras am Wegesrand. Da liegt etwas. Was mag das sein?
Was sieht Tim neben sich im Gras? Was liegt da? Tims Augen haben etwas entdeckt.Seine Augen bleiben an einem kleinen Ding hängen oder kleben. Er kann den Blick nicht mehr abwenden. Er muss hinschauen! Er muss es sich näher ansehen, seinem Forscherbedürfnis nachgeben.
Ohne es zu fühlen, löst sich unbemerkt und wie von selbst seine kleine Hand aus der väterlichen Hand und gleitet an seinem Hosenbein hinunter. Er geht ein Schritt seitwärts und dreht sich um, weil er denkt, es dadurch besser sehen zu können.Tim gibt einem Sog nach und sinkt auf die Knie hununter. Er muss es erforschen! Im Gras sitzend, muss er einem Impuls folgen, der seinen neugierigen Zeigefinger ausstrecken lässt. Da berührt er etwas: Sandfarben, graubraun- geringelt und fast rund. Hart fühlt es sich an. Er hält den Atem an. Mann, ist das aufregend! Er traut sich kaum es nochmal zu berühren. Jedoch?
Er tippt es wieder an. Er beobachtet ganz aufmerksam, was geschieht. Er wartet. Plötzlich, wie aus dem Nichts, kommt da ein kleines, dunkelgraues Böllchen zum Vorschein.
Was ist das? Sein Herz klopft bis zu den Ohren. Sein Atem stoppt. Ja, er traut sich kaum weiter zu atmen.
Da erscheint es wieder! Da kommt noch eins! Also zwei! Und sie werden länger. Wie zwei Stiele wachsen sie aus dem Ding heraus. Da! Sie wachsen wie zwei Antennen und werden immer länger. Und noch zwei, weiter unten.
Sein Herz kloppt bis zum Hals und durch ihn hindurch bis zu den Zehenspitzen.
Er beobachtet dieses seltsame Wesen eine ganze Weile. Aber dann kann Tims neugieriger Zeigefinger nicht mehr stillhalten. Er muss so ein Böllchen anfassen.
Als er es berührt, da geschieht etwas: Zack! Es ist weg! Eingezogen und eingeschlürft! Er erschrickt so sehr, dass er vergisst zu schreien. Schau!
Es kommt wieder und wird länger und noch länger. Es bewegt sich und fängt an zu wachsen. Ein dicker graubrauner Hals wächst aus dem Ding heraus und hat zwei Böllchen auf zwei Stielen. Augen? Ja! Augen, schießt es Tim durch den Kopf. Die schwarzen Böllchen sind Augen! Augen auf Stielantennen! Die Stielaugen sehen ihn interessiert an!
Frech und schlau!
Sie beäugen ihn und sehen sich äußerst neugierig um. Schlau, denn sie können komplett überall herumschauen. Da, sieh nur, der Hals wird immer länger. Und das Ding? Es bleibt auf dem dicken Hals kleben.
Es ist überwältigend! Staunend und regungslos sitzt Tim im Gras. So etwas hat er noch niemals gesehen. Es streckt sich aus und der dicke Hals wird länger und nimmt einfach das Ding mit. Das Ding sitzt obendrauf, festgeklebt. Und alles zusammen trägt es langsam schleppend mit sich weiter. Die Stielantennen bewegen sich hin und her, auseinander und zusammen. Sie werden länger und kürzer. Wie magisch angezogen, muss Tim diese wieder berührend erforschen.
Das Eine!
Weg ist es!
Nach einer Weile wächst es wieder. Und das zweite? Kaum hat er es berührt, weg ist es! Wieder kommt es! Berührt es, wird weggezaubert, dannist es wieder da, das eine tippt er an, wird schnell weggezogen, dann ist`s wieder, da, dann das andere betupft, ist weggeschlurft und gleich wieder da.
Er muss immer wieder diesem Drang folgen und es berühren, antippen oder betupfen. Auf diese Weise wird ein lustiges Spiel daraus. Es sieht so aus, als wenn die Beiden sich auf diese Weise wundervoll unterhalten.
Aber nach geraumer Zeit ist dieses Spiel langweilig. Er hat das Bedürfnis, dieses Wesen in seine Hände zu nehmen. Und weil er mutig ist, fasst er vorsichtig und mit zwei spitzen Fingern das Ding an und hebt es hoch. Er dreht es um. Unten ist es glatt und glänzt. Er legt es langsam und andächtig in seine Hand. Huuuh…, es fühlt sich kalt an und irgendwie glitschig und schleimig und kribbelig. Tim schaudert und es schüttelt ihn bis zu den Haarspitzen, aber es gefällt ihm trotzdem. Ganz inspiriert fängt er an, diesem Ding eine Geschichte zu erzählen. So sitzen sie zusammen im Gras und sind voneinander angetan. Sie vergessen die ganze Welt um sich herum.
Der Vater indessen, ist erzählend weitergegangen. Auch er hat nicht bemerkt, dass er die Hand seines Sohnes nicht mehr fühlte. Wahrscheinlich war er so vertieft in sein Geschichtenerzählen, dass auch er die Welt um sich herum vergessen hatte. Jetzt, in diesem Moment erst bemerkt er, dass seine linke Hand kühl und leer ist. Er schaut nach unten und sieht: Kein Tim! Da geht niemand neben ihm her und niemand lauscht seiner Stimme.
Er erschrickt.
Tim fehlt! Wo ist er? Was ist geschehen? Warum konnte ihm das passieren?
Wieso?
Wie konnte ausgerechnet ihm das passieren! Ausgerechnet ihm? Ihm, dem pflichtbewussten, korrekten Vater?
Den Sohn verlieren!
Seinen einzigartigen, wunderbaren Sohn! Verlieren? Das kann und darf nicht sein! Niemals! Das Wertvollste und Wichtigste in seinem Leben? Nein! Schrie es durch seine Brust.
Er bekommt Angst! Er schaut sich um.
Nichts! Außer den grauen Asphaltweg und grüne Wiesen. Er dreht sich hierhin und drehte sich da hin. Aber es ändert sich nichts an seinem Dilemma. Er kann auch nicht mehr klar denken, denn: Alles in seinem Kopf dreht sich! Gedanken überschlagen sich, wie im Karussell! Gleich einem Chaos!
Was tun? Wo suchen?
Gedankenlos und in Panik folgt er einem Instinkt: Er fängt an zu laufen. Na klar! Zurück! Ja, zurück! Das sind die einzigen Worte in seinem Kopf!
Er läuft! Er rennt!
Zurück!
Er rennt und rennt! Wird immer schneller. Wie ein Verfolgter! Oder in Trance. Bergan und bergab und immer weiter. An sich wiegenden Weizenfeldern vorbei; gelbblühenden, bunten und grünen Wiesen, aufgescheuchten Vogeleltern, erschreckten Mäusekindern, bis er dann um einen dicken Grasbüschelberg herum, an einer Weggabelung anhalten muss.
Wohin jetzt? Atemlos muss er sich nun entscheiden. Weil er in der Ferne einen blauen Fleck im Gras entdeckt, ist es klar welchen Weg er wählt.
Tims blauer Pulli? Fährt es durch seien Kopf? Er rennt, so schnell ihn seine Beine tragen! Als er näher an den blauen Fleck herankommt, sieht seinen Sohn Tim.
Der sitzt geborgen, im Gras.
„Tim“! ruft der Vater außer Atem. „Tim“!
Sein Herz klopft bis zum Hals und sein Kopf hämmert. „Was machst du da“! Ein Vorwurf klingt in seiner Stimme.
„Guck mal, Papa“, antwortet Tim ahnungslos und glücklich.
Tims Vater muss sich beherrschen, um nicht in eine Flut von ärgerlichen Vorwürfen zu verfallen, denn seine Angst sitzt wie ein Monster in seiner Brust. Er muss atmen! T i e f atmen! Und innehalten. All seine Lebenserfahrungen haben ihm dann dabei geholfen ruhig zu werden, um sich anschließend seinem Sohn Tim zuwenden zu können.
„Was ist es, was du da hast“, fragt der Vater, sichtlich gefasster.
Tim streckt die Hand aus und zeigt entzückt seinem Vater, was er Wunderbares gefunden hat.
„Eine Schnecke,“ sagt der Vater bewundernd. „So eine schöne Schnecke mit einem Häuschen.“
„Die will ich mitnehmen,“ meinte Tim.
„Du kannst die Schnecke nicht mitnehmen,“ entgegnet ihm der Vater.
„Doch!“ „Es ist meine Schnecke“. „Ich nimm sie mit“! Entschieden klingt Tims Stimme.
„Nein Tim, die Schnecke lebt hier in der Wiese“, hält der Vater dagegen.
„Ich will sie aber mitnehmen, sie gehört jetzt zu mir“! Felsenfest klingen Tims Worte. Sein Vater holt tief Luft und versucht Tim zu überzeugen, dass die Schnecke nur in der Wiese leben kann. „Ich will sie aber mitnehmen“, schreit er. „Ich gib sie nicht mehr her“!
Die Schnecke hat sich bei dem Geschrei sicherheitshalber ins Häuschen zurückgezogen. Ganz schön hartnäckig, denkt der Vater. Nun überlegt der Vater lange.
Nach einer Weile sagt er zu Tim: „Schau Tim, diese Schnecke ist ein Wesen so wie du und ich. Sie lebt hier in dieser Wiese, wo alles für sie da ist, was sie zum Leben braucht. Wenn du diese wunderschöne Schnecke, die du so liebst, mitnimmst, vertrocknet sie in deiner Hand. Sie braucht zum Leben die Feuchtigkeit der Wiese und die Blätter. Wenn ihr das alles fehlt, wird sie sterben. Willst du das Tim“? Tim muss überlegen. Er schaut die Schnecke lange an. Er berührt ihr schönes Häuschen ganz liebevoll und fängt an, mit ihr zu reden. Er sagt ihr, dass er traurig sei und dass es ihm leid tue, dass er sie jetzt ganz allein hierlassen müsse, weil sein Vater es unbedingt so wolle. Da hört er, wie der Vater zu ihm sagt: „Tim, die Schnecke ist nicht allein. Hier in der Wiese gibt es viele Schneckenbrüder und Schneckenschwestern und Schneckeneltern. So ist es in der Wiese, selbst wenn es das Menschenauge auf den ersten Blick nicht sehen kann“. Tim überlegt. Nach einer geraumen Weile erwidert er: „Also gut, wenn es sein muss“. Tim setzt schweren Herzens die Schnecke in das Gras und sagt:
Er wünscht ihr, dass sie ihre Schneckengeschwister, ihren Schneckenpapa und ihre Schneckenmama schnell findet und glücklich ist. Er verspricht ihr, sie bald wieder zu besuchen. Er winkt ihr. Sein Vater winkt ihr und beide winken ihr, während sie sich Hand in Hand, langsam auf den Weg nach Hause begaben.
Tim schaut unentwegt immer und immer wieder zurück. Er spricht noch von weitem mit der Schnecke. Sein Vater hält ihn fest und sicher an der Hand, währenddessen er ihn langsam weiterzieht. Tim fällt es schwer, seinem Vater zu folgen. Je mehr er dem Zug der väterlichen Hand folgen sollte, umso mehr zog Tim zurück. Und weil sein Arm gefühlt, immer länger wird, bleibt sein Vater augenblicklich stehen. Er beugt sich zu Tim hinunter. Er sieht seinem Sohn liebevoll und entschlossen in die blauen Augen. Da nimmt er ihn zu sich hoch. Er trägt ihn fest und sicher in seinen Armen. So gehen sie dem kühlen Wind entgegen.
Die Abendsonne begleitet sie, während der Vater die begonnene Geschichte fortsetzt. Während Tim einerseits der Stimme des Vaters lauscht, muss er andererseits immer wieder seiner Sehnsucht folgen, über die Schulter des Vaters zu schauen, um nach der Schnecke Ausschau zu halten, um sie vielleicht doch irgendwie noch erblicken zu können.
Der Vater nimmt sehr wohl Tims unruhiges Wesen wahr. Nach einer Weile berührt er Tims wissbegierigen Kopf und legt ihn an seine Brust. Er hält ihn sanft und sicher.Tim begibt sich nach und nach ganz in die kraftvollen Arme seines Vaters. Er vernimmt den Klang seiner Worte, die eine Geschichte von einer kleinen Schnecke erzählt. Er vernimmt den beruhigenden, gleichmäßig starken Herzschlag seines Vaters. Er spürt seine väterliche Wärme. Er fühlt seine sicheren, starken Arme und atmet die wunderbare Geschichte ein. Er lässt sich tragen. Dann schläft er ein. Als er wieder aufwacht, sind sie zuhause angekommen.
„Mama, ich muss dir etwas ganz Wichtiges erzählen“!
Tim befreit sich aus den schützenden Armen des Vaters, rutscht an seinem Bauch und den Beinen herunter und rennt zu seiner Mutter. Er nimmt sie an der Hand und zieht sie ganz zielstrebig zu Großvaters ergrauter Gartenbank. Sie setzen sich gemütlich zwischen die Blumenkissen. Dann beginnt Tim, aufgeregt, mit hochroten Wangen, mit Händen und Füßen alles zu erzählen, was er und sein Papa an diesem Tag erlebt haben.
Staunend lauscht seine Mama den Worten Tims, während sich die untergehende Sonne mit ihren letzten wärmenden Strahlen langsam hinter den Hecken zur Nachtruhe begibt.
Jahrelang verbrachte Julia die Tage und die Nächte damit, alles Mögliche und Unmögliche zu sein. Sie war überall und nirgends unterwegs, da und dort und doch wieder woanders. Quälende Gedanken im Kopf, kreisend und immer wiederkehrend, im unendlichen Räderwerk. Alles lernend und doch nichts wissend. Und – auf der Flucht! Vor dem, was sie einholen könnte. Zurückziehend ins Chaos – Verwirrung – dann – plötzlich Stillstand! Nein! Alles ist nichts! Doch, Keineswegs! Denn von etwas angetrieben! Doch dann geschah Folgendes und eines morgens: Der Regen prasselte an ihr Fenster und rüttelte sie auf! Alles hin und her, so herum und wieder anders herum drehend und denkend und dann diese Sehnsucht …, nach ganz weit weg! Und doch auf keinen Fall, schienen ihr nichts mehr zu nützen! Plötzlich saß sie kerzengerade im Bett. Kein langes Augenreiben und kein Gähnen half! Auch kein Recken und Strecken und kein langes Überlegen! Nein! Es war, als wenn nicht sie selbst, sondern sie von unsichtbarer Macht gedrängt und gezogen wurde. Ein „Etwas“ aufstand, aus dem Hemd enthüllend, sie nackt unter die heiße Dusche schob. Dem warmen Wasserfall hingebend, hörte sie den warmen Duschkabinenregen lärmend gegen die milchigen Glasscheiben prasseln.
Einfach nur dastehen und sich hängen lassen. Wartend und hoffend, dass der wohltuende Regen all die so unverträglich-wiederkehrenden Gedanken und mörderisch anhaftenden, nicht weichenden Gefühle mitnehmen und wegspülen möge. – Für immer! – Eine Weile und noch eine Weile darauf wartend, dass alles sich reinwäscht. Dieser Gedanke war so wohltuend. Sie wollte noch einen Augenblick innehalten! Dann aber folgten ihre geöffneten Augen zuschauend, wie unaufhaltsam, stetig kreisend und schlürfend alles Nutzlose im Abfluss und unter ihren Füßen verschwand. Plötzlich wurde sie aus ihrer Trance herausgerissen. Waren da nicht Klingeltöne? Den Hebel drückend und der reinigende Fluss verstummte. Aufatmend und tief seufzend erhoben sich ihre Füße aus dem Wannensee. Weich und geborgen eingehüllt im schwarzweißen Handtuch fielen ihre Blicke auf den tickenden Wecker an der weißgefliesten Badezimmerwand. „Nein!“, schrie es in ihrem Kopf. „Schon wieder zu spät! Immer das Gleiche mit dir!“ Selbstkritische, zerstörerische Gedankenmuster kreisten in ihrem Kopf. Und: „Du bist zu blöd! Kapierst es nie!“ und „Alles deine schuld!“ Wutschnaubend und unter Tränen durchkämmte sie ihre ungehorsamen Locken, stieg unwirsch in die Klamotten, schlupfte hinein und schnürte die naheliegenden, schwarzen Schuhe, schwang die dunkelbraune Tasche über die Schulter, riss den eiskalten Schlüsselbund vom Brett und hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
Endlich draußen! Nasskalter Regen und lärmende Autostraßen empfingen sie an diesem frühen Morgen. Mit dem Handrücken wischte sie sich ihr Gesicht trocken. Der Regenschirm! „Zu blöd“, das auch noch“ und „keine Zeit“, durchkreuzte es ihre Gedanken! Sie musste zurück!
Auf der Ferse sich umdrehend, schloss sie die weißblaue Haustüre auf und ging zielstrebig zum honigfarbenen Schrank im Flur. Die Türe stand einladend offen. Sie nahm die schwarzgrüne Jacke vom Haken, griff nach dem dunkelblauen Knirps, schob die Schranktür zu, ein überprüfender Blick rundherum, dann wandte sie sich um und kehrte allem den Rücken. Sie lief und lief! An überaus zielstrebigen Menschen vorbei, stinkend-lärmenden Straßen, ohrengeschützten- ,presslufthämmernden Bauarbeitern, hupend-quietschenden Autos, schimpfend-gestikulierenden, keine Zeit und doch irgendwie überlebenden Frauen; trotzig, streitend, schubsend und lachenden Schulranzen-Kindern; Handy-am-Ohr, lippenbekennenden, gutgekleideten Anzugherren; ganz in sich gekehrten, krummgebuckelten, sich aufstützenden und Rollator schiebenden, grauen Alten, mit und ohne Hut; und dann…., raus aus der Stadt und Nichts wie weg!
„Aber wohin?“ Dies war ein ganz ungewöhnlicher und neuer Gedanke, der plötzlich da war! Julia hob ihren Blick und sah die Ferne und die Nähe. Selbstverständlich sah sie auch einen Weg vor sich, auf dem sie ja schon die ganze Zeit gegangen war. Sie blieb stehen. Wo soll sie hin? Da war etwas, das sie zum Anhalten zwang. Eine innere Stimme? Was war da in ihrem Inneren und Äußeren, was sie zu all dem Bisherigen getrieben hatte? Sie wusste es nicht! Was sie fühlte, war wie „auf der Suche“ oder „von etwas angetrieben.“ So ging sie eben zunächst einmal: „Keine Ahnung“, suchend durch die Welt. Sie ging durch die traurigen, kalten und durchnässend-fröstelnden Regentropfen. Saß verloren und alleingelassen auf dunkelgrünen Ausruhebänken an steinig- sandigen Wegesrändern. Versank sehnsüchtig sitzend in dem azurblauen, sanften und wellenwiegenden See. Augenblicke, verlierend in der weiten himmlisch-bewölkten und wolkenlosen Ferne. Vom eisigen, „durch Mark und Bein“ beißenden Sturm weiter und weiter, vorwärtsgetrieben und der Wind heulte die erschreckendsten Lieder. Schmerzende, unglücklich – gefallene Knieschürfwunden! Der Rücken plagte und keine Hilfe in Sicht!
Gelogen!
Sie wäre da gewesen, die gute, heilsam umsorgende Hilfe! Jedoch Julia glaubte, wie schon immer, dass sie alles alleine schaffen müsste und sowieso könnte. Selbstverständlich hatte sie es immer geschafft. Irgendwie eben und auch dieses Mal. Ja, sie hatte wieder eine Erfahrung dazu gewonnen. Immer dieselbe? Oder doch nicht?
Wärmende Sonnenstrahlen küssten sanft ihre kühle Haut. Blühende Wiesen umhüllten wiegend ihre nackten Beine und streichelten duftend ihre Sinne. Der laue Sommerwind durchlüftete atmend, ausdehnend ihr Herz und Sinn und drang bis in die kleinen Zehen und Haarspitzen.
Ein Gedanke auftauchend durchquerte ihr Denken: Menschenbegegnungen und ein wunderbares miteinander teilen und sich wieder trennen müssen, das gehört zum Leben dazu. Sagt man. Und ein wärmendes, berührendes Herz und tiefe, allzeit erfüllte Gefühle und sich vollkommen geborgen fühlen…. .
Nein! Schrie es aus ihrer tiefen Brust und noch tiefer dadrinnen. Tief drinnen, irgendwo im Herzen. Nein! Dann muss man fliehen!
Warum, fragst du? Weil man es nicht aushalten kann!
Das vernichtend-sterbend-verletzte Herz, zum Tod-umfallen, Nicht-mehr-da-sein und trotzdem, leben wollen-müssen!
Auf und davon! Bergauf und bergab, über“ Stock und Stein“ und drum herum und „Watend durch die Sümpfe,“ schmerzend und lachend, tief betrübt und lustig scherzend übers weiche, moos-grüne Feld, übern steilen Berg und durch das tiefe Tal, durch den hellen, lichten Tag und die tiefdunkelste Nacht.
Da war es geschehen!
Julia war nicht aufmerksam genug mit der Zeit umgegangen, denn sie hatte viel zu viel Zeit verplempert. Sie hatte sich vom vielfältigen Treiben dieses hellen, bunten Tagesgeschehens verführen lassen und hatte den dämmernden Abend nicht bemerkt. Schon wurde es dunkel. „Auf jeden Fall werde ich noch rechtzeitig den sicheren Ort erreichen!“, sagte sie sich. Sie fing an zu laufen und je dunkler es wurde, umso schneller wurden ihre Füße. Sie rannte und rannte. Da konnte sie schon die kleinen Lichter der erleuchteten Häuser sehen. Es war nicht mehr weit.
„Gott sei Dank!“
Dies war das letzte, was Julia dachte und dann;
Fiel sie, fiel und fiel.
Es war, als wenn sie schweben würde, oder fliegend getragen werden.
Dann, Stille! Im leeren Raum!
Und Nichts! Totenstille!
Da! Unverhofft geschah etwas:
Etwas schien ihr hell ins Gesicht! Sie vermochte und konnte die Augen wirklich nicht öffnen.
Sie hatte Angst! Furchtbare Angst!
Angst, irgendwo dort angekommen zu sein, wo sie auf keinen Fall und noch nicht sein wollte! Sie wagte es nicht, auch nur durch einen Augenspalt zu schauen. Moment! Sie horchte auf. Was war das? Wohlbekannte und vertraute Geräusche aus der Ferne klangen an ihre Ohren! Die Sonne strahlte ihr geradewegs ins Gesicht! „Gott sei Dank.“ „Glück gehabt“, war so erleichternd.
Julia atmete die kühle, erfrischende Frühmorgenluft tief hinein in ihre engen Lungen. Ihr Herz fühlte sich wie in einem engen Panzer und es klopfte bis zum Hals. Was ist geschehen? Nicht darüber nachdenken. Sie rollte sich auf die Seite. Wo war sie? Zögernd öffnete sie ein Auge nach dem anderen. Um sie herum war es grün und feucht. Alles o.k.!? Schoß es ihr durch die Gedanken. Es war wie ein Wunder, denn sie spürte keinen einzigen Schmerz. Sie betastete sich. Sie fühlte mit ihren Händen und überprüfte mit Sinn und Verstand alles Körperliche. Sie bewegte ein Glied ums andere, drehte sich so herum und andersherum. Sie sah nochmal nach, aber sie fand überall keinen Schmerz, keine Schramme. Verwundert schüttelte sie ihren Kopf. Es war unglaubwürdig und doch wahr: Sie war heil geblieben! Gerade als sie sich erheben wollte, sah sie unmittelbar vor sich etwas liegen, was ihr Blick magisch anzog. Selbst wenn sie es noch so sehr gewollt hätte, die Augen konnten sich nicht davon lösen.
Was war das?
Es leuchtete. Sie berührte es, nahm es zu sich und legte es behutsam in ihre Hände. Sie erschrak! Gerade eben hatte es sich verwandelt! Das Leuchten war verschwunden! Und trotzdem blieb etwas in ihrer Hand zurück. Es lebte nicht mehr! War es Tod? Sie streichelte es sanft und redete mit ihm. Aber es blieb so, wie es war. Tot und ohne Lebendigkeit. Julia kniete und empfand sich wie eins mit dem, was sie immer noch unverändert in den Händen hielt. Ohne Leben, ohne Empfinden, ohne etwas zu fühlen. Sie fühlte nichts!
War sie wie erstarrt? Wie zu Eis erstarrt? Dann wurde ihr kalt, sehr kalt. Und sie wurde von etwas berührt.
Schneeflocken fielen still und leise, unhörbar auf Julia hinab. Sie hüllten Julia vollkommen ein. Eine ganz besonders große, wunderschöne Schneeflocke fiel auf ihre Hand. Julia sah sie.
Diese einzigartige, bezaubernde, schöne Schneeflocke legte sich schmeichelnd und anschmiegsam in ihre Hand und blieb eine Weile. Julias Herz fing an zu klopfen und es wurde immer lauter.
Bumm! Bumm! Bumm, Bumm! Bumm, Bumm!
Der gesamte Brustkorb bebte und umarmte das laut pochende Herz. Das etwas, was sie zuvor in den Händen hielt, hatte sich aufgelöst?
Ins Nichts!?
Allein diese einzigartig bezaubernde Schneeflocke war geblieben. Nach einer Weile begann sich diese aufzulösen. Sie beobachtete aufmerksam diesen Verwandlungsprozess. In ihren Händen bildete sich ein kleiner, kristallklarer See. Andere, kleine, weiße Schneeflocken gesellten sich tanzend dazu und schmolzen. Tränen flossen aus Julias Augen die Wangen hinunter, die tropfend zerflossen, sich vereinend zu einem glasklaren See in ihren Händen. Ihr Augenblick versank tief hinein. Der Schmerz weckte sie auf! Dieser ursprüngliche Schmerz! Wie aus heiterem Himmel war er wieder da. Dieser eine Schmerz! Julia fühlte diesen Schmerz in ihrer Brust. Diesen Schmerz, der tiefer ging als das ganze Herz und ihr ganzes Sein selbst schien, hatte sie immer vermieden. Nein, niemals im Leben wollte sie diesen herzzerreißenden, totumfallenden Schmerz haben, geschweige denn noch ihn fühlen. „Niemals!“, dieses hatte sie sich damals geschworen! Aber…
Nun war er da! Unerwartet und unangekündigt und von jetzt auf nachher. Er war plötzlich da! Nein, wollte es aus ihr herausschreien. Nein! Nein! Und nochmals Nein! Nein? Sie hielt inne. Er war anders! Aber wie? Was war denn anders? Irgendwie fühlte es sich anders an, aber irgendwie undefinierbar.
Bevor sie weiter in ihre nachforschenden und nachfühlenden Fragen eintauchen konnte, vernahm sie eine seltsam sanfte Stimme. Sie schaute sich um. Sie sah aber niemand. Sie lauschte. Sie kam von weit her.
Was war das? Woher kam sie? Sie sah sich nochmals gründlich um, aber da war niemand. Kein Kind und selbst auch kein noch so kleines Kind. Überall wo sie hinsah…. .
Es war niemand, außer die feinen, kristallgefrorenen, weißen Schneeflocken die vom Himmel lautlos segelnd auf sie hinunterfielen und sie umhüllten. Vom Himmel hinunter! Julias Augen folgten ihnen aufwärts in den Himmel. Da sah sie eine schneeweiße Wolke! „Schau! Sie ist wunderschön!“, flüsterte eine freudige Stimme in ihrem Ohr. Ein heller, lichter Schein umhüllte die weiße Wolke. Sie strahlte in hellem Glanz!
Was Julia dort sah, berührte ihren tiefen, herzzerreißenden, sterbend-totumfallenden und nach Leben schreienden Schmerz.
Sah sie dort nicht eine kleine Lichtgestalt? Oder träumte sie einfach nur?
Nein und Ja und Doch!
Ihr Herz schrie!
Doch etwas zwang sie, hinzuschauen. Sie ließ sich darauf ein und nahm eine kleine, wunderschön leuchtende Lichtgestalt wahr. Manche würden sagen: Ein Engel. Sie sah ihn in diesem wundervollen Anblick und das, was sie empfing, war verständnisvoll und großmütig. Es war, als wenn diese Lichtgestalt lächelte.
„Auf und davon!“, schrie es wieder in ihrem Kopf. „Auf und davon!“
Es ging nicht. Da war etwas, was sie zwang, hinzusehen! Sie musste hinschauen, denn etwas zwang sie regelrecht dazu. Sie hatte keine Wahl: Sie konnte nicht mehr wegsehen! Wie ein Fluss liefen die erlösenden Tränen Julias Wangen hinunter.
„Es tut mir so sehr leid“, drängte es aus Julias Mund und über ihre Lippen. „Es tut mir so leid!“ „Ich habe dich trotzdem so sehr geliebt und glaubte, ich hätte keine andere Wahl.“ Als es zu spät war, gab es kein Zurück. Deshalb leide ich selbst und gab das Leiden weiter, denn mein ganzes Leben war davon bestimmt. Nun ist`s genug! Ich hör jetzt auf damit!
Ich danke dir für die Erkenntnis und deine große Güte. Ich danke dir für die allumfassenden Lektionen.
„Ich will lernen, mich und mein verletztes Herz zu lieben. Denn es wird mein bester Ratgeber sein.“ „Und mein Herz gesundet.“ „Und dein Herz gesundet.“ „Ich lebe so, wie ein Geschenk für die Welt.“
Dies ist mein Versprechen.
Als ich zum ersten Mal das Helping Hands Programm in einer kleinen Grundschule begleitete, begab es sich, dass ein neues Mädchen in die Klasse kam. Die Lehrerin empfing mich an der Türe, um es mir mitzuteilen. Nachdem ich die Kinder begrüßt hatte, entdeckte ich die neue Schülerin. Sie war sehr schüchtern. Ich fragte die Kinder, ob sie der Neuen erzählen möchten, was sie in den letzten Wochen mit den helfenden Händen gelernt hatten. Freudestrahlend und mit einem kräftigen »Ja« antworteten sie. Sie erklärten und zeigten dem Mädchen alles, was sie in den letzten Wochen über die Helping Hands »gelernt« hatten.
Zwei Mädchen zeigten der Neuen praktisch, wie es geht und schon war sie in der Klasse integriert. So schnell funktioniert Integration bei Kindern. Ich war dankbar, über die wunderbare Erfahrung. Die Lehrerin war mir sehr dankbar über die vielen bereichernden Erfahrungen während unseres Projektes. Am Ende unserer gemeinsamen Zeit sagte sie: »Ich bin dankbar, dass ich von Ihnen so viel lernen durfte, was ich im Studium nicht lernte und um die Erfahrung, dass es am Anfang sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit braucht, aber dann auf einmal die Konflikte sich schnell lösen. Vor dem Projekt hatte ich mit dem Eindämmen von Konflikten fast jeden Morgen 20-30 Minuten Zeitstress und jetzt lösen sich die Konflikte in wenigen Minuten auf, sodass ich entspannter und effektiver unterrichten kann«.
In der Zeit als ich das Programm der helfenden Hände in einer 3 Klasse durchführte, fiel mir ein Mädchen auf, ich nenne es Ursula (Namen verändert). Sie war blass, sehr schlank und sehr zurückhaltend. Sie litt darunter, dass sie körperlich nicht gut mithalten konnte. Sie kam zu mir und sagte mit trauriger Stimme: »Ich habe keine Freunde.“ Nachdem ich mit den Kindern vier Wochen das Programm der Helping Hands übte, schrieb und malte sie mir den ersten Brief, der mich sehr berührte. Eines morgens kam sie auf mich zu und sagt: »Frau Hildebrandt, ich liebe die helfenden Hände. Ich freue mich immer, wenn sie da sind.« Ihre Augen strahlten, wie die Blumen am ersten sonnigen Frühlingstag. Ein anders Mädchen schrieb auf ein Blatt: «Du bist wundervoll«.
Nach den ersten vier intensiven Wochen wünschte sich die 3. Und 4. Klasse das Thema Freunde. So integrierten wir dieses Thema in das Programm. Es war wunderbar, was wir gemeinsam erarbeiteten. Für manche Kinder war es eine Herausforderung und so manche Konflikte kamen zutage, die schon alt waren, gelöst und umgewandelt werden wollten. Eine zeitaufwändige Angelegenheit, welche die Lehrkräfte manchmal etwas überforderte und trotzdem konnte ich die Verwandlung der Kinder in der Klasse wahrnehmen. Eines morgens kam Ursula zu mir und strahlte. Ganz schüchtern, aber glücklich sagte sie: »Frau Hildebrandt, ich habe jetzt eine Freundin«. Dies berührte mich zutiefst und erfüllte mich mit großer Freude.
Ein Junge, ich nenne ihn Anton, fiel mir anfangs nicht auf. Ich empfand ihn als etwas unscheinbar in der Klasse, aber für manche Kinder galt er als aggressiv und explosiv gewaltbereit. Die Kinder erzählten, dass sie nicht nachvollziehen können, warum er wegen Kleinigkeiten ausflippte. Da geschah eines morgens, während meiner Anwesenheit, dass Anton mit seinem Nachbarn in einen Konflikt geriet. Ich wandte mich zu ihm, ging zu ihm hin und kniete mich neben ihn. Nachdem ich ihn nach dem Problem befragte, begann er leise mir eine Geschichte zu erzählen. Es war eine furchtbare und grausige Geschichte. Eine ungelöste Situation, die in ihm seit der ersten Klasse untergründig schwelte. Ich hörte ihm zu, bis er alles Schreckliche erzählt hatte.
Als er mit der Geschichte geendet hatte, sagte ich ihm: »Das war sehr mutig von dir Anton, dass du mir die Geschichte erzählt hast. Danke, dass du mir alles erzählt hast«. Sein Körper entspannte sich und dann entstand eine Traurigkeit. Ich wandte mich den Klassenkameraden zu und lud sie ein, sich Anton zuzuwenden. Ich fragte sie: »Wenn ihr Anton so seht, wie mag es ihm gehen?« Die Antwort: »Nicht gut!“ Meine Frage: »Was könnte Anton helfen, dass es ihm wieder gut geht?« Sie boten ihm Verschiedenes an, was er aber stets ablehnte. Nachdem Anton alle Angebote verneint hatte, bot ihm ein Junge die helfenden Hände an. Er sagte mit erleichterter Stimme: »Ja«“ Er durfte die Kinder auswählen, die ihn mit den Händen berührten. Seine Traurigkeit verschwand in wenigen Minuten. Er lächelte. Es war eine tiefe Transformation geschehen. Die Atmosphäre veränderte sich im Klassenzimmer. Die hektische Unruhe hatte sich aufgelöst und es kehrte friedvolle Ruhe ein.
»Heilsame Ursprungstherapie ist eine therapeutische Art und Weise, die es ermöglicht, einen heilsamen, inneren Weg zu beschreiten, um sich mit dem Ursprung wieder zu verbinden».
Ich freue mich, Dich begleiten zu dürfen, auf Deinem Weg zum Heilsamen Ursprung!